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Interviewreihe Quereinsteiger: Teil 1

Was ist überhaupt ein Quereinsteiger?

Im Zuge des Lehrermangels in Berlin, hat sich der Berliner Senat dafür entscheiden, Menschen aus anderen Berufsfeldern als Quereinsteiger anzuwerben. Auch an unserer Schule unterrichten einige Lehrer, die vorher einen anderen Beruf ausgeübt haben. In dieser Interviewreihe berichten Quereinsteiger über ihre Erfahrungen und ihre früheren Tätigkeiten.


Teil 1: Herr Dr. Wendel

Was haben Sie studiert?

Ich habe zunächst Physik und Informatik studiert (Diplom / Master), dann in Wirtschaftswissenschaften (BWL / VWL) promoviert. Sehr viel später, nach längerer Berufstätigkeit, habe ich auch noch ein Studium der Windenergie, speziell Offshore-Wind, absolviert.

Welche Tätigkeit haben Sie vor dem Lehrerberuf ausgeübt?

Zunächst war ich in der Management-Beratung als Consultant für große internationale Unternehmen tätig, später in verschiedenen Management-Funktionen von Technologiefirmen (Telekommunikation, Internet, IT). Die letzten Jahre vor meinem Einstieg arbeitete ich freiberuflich als selbständiger Berater, eine Tätigkeit mit großem Freiraum.

Haben Sie promoviert?

Ja, siehe oben. Die wissenschaftliche Forschung fand ich immer extrem faszinierend, egal ob in den Naturwissenschaften (was mich ursprünglich zum Physikstudium brachte) oder später in den Arbeiten zum menschlichen Entscheidungsverhalten in ökonomischen Situationen.

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Lehrer zu werden?

Ich hatte schon früher häufig und gern unterrichtet, beginnend bei der VHS über die Fernuni bis zur Universität - also immer eher Erwachsene oder ältere Jugendliche. Neben meinem Beruf hatte ich zuletzt über ein Jahrzehnt ehrenamtlich in der privat organisierten Entwicklungshilfe gearbeitet und dabei unter anderem in Brasilien und Honduras Hilfsprojekte für Waisen- und Straßenkinder aufgebaut, Schulen eingerichtet und teilweise auch Kinder aller Altersstufen unterrichtet. Diese Erfahrungen haben mich veranlaßt, das Unterrichten von Kindern noch einmal zum Hauptgegenstand meiner beruflichen Tätigkeit machen zu wollen. Das Quereinsteiger-Programm Berlins kam da gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Welche Fächer unterrichten Sie?

Derzeit vor allem Physik und Mathematik, ausgebildet bin ich auch für Informatik. In der Praxis an meiner „Stammschule“, einer ISS, aber teilweise auch andere Fächer in Vertretung, gerne z.B. Sprachen, Ethik, Biologie und Chemie.

Welche Vorteile bringt den Schülern Ihre praktische Berufserfahrung?

Häufig fragen mich Schülerinnen und Schüler „wozu brauche ich das später mal?“ Diese Frage musste ich noch nie unbeantwortet lassen. Ich sehe die Breite meiner akademischen und praktischen Berufserfahrungen als Quelle zahlreicher Möglichkeiten, aufzuzeigen, welch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten die in der Schule erworbenen Fähigkeiten besitzen. Vor allem die Entwicklungshilfe in Entwicklungs- und Schwellenländern hat mir auch noch einmal verdeutlicht, wie wahr der Satz „Bildung ist der Schlüssel zu allem“ ist. Ich kann allen Schülerinnen und Schülern nur dringend ans Herz legen, diese einmalige Chance in einem Land mit unglaublich breitem Bildungsangebot zu nutzen - Sie werden es Ihr ganzes späteres Leben lang zu schätzen wissen!

Haben Sie Zeit im Ausland verbracht und würden Sie das Ihren Schülern empfehlen?

Beginnend beim Schüleraustausch in UK, über Studium in den USA und verschiedene private und berufliche Auslandseinsätze unterschiedlicher Dauer: Ich habe jede Gelegenheit dazu genutzt und jede genossen. Eine andere Perspektive einzunehmen, das eigene Land „von außen“ zu sehen und die Welt ganz anders kennenzulernen, ist neben praktischen Vorteilen (Spracherwerb, „Lebenslauf“) eine Erfahrung, die ich jedem (und jeder) nur ans Herz legen kann. Auch falls die Eltern das nicht unterstützen können oder wollen sollten: es gibt unglaublich viele Austausch- und Stipendienprogramme. Nutzen Sie sie!

Bereuen Sie es, erst jetzt Lehrer geworden zu sein?

Nein, ich sammle jetzt viele sehr befriedigende und beglückende Eindrücke (auch einige andere) und das Timing ist für mich perfekt. Zudem habe ich ja in verschiedenen Kontexten bereits früher sehr viel unterrichtet und ausgebildet.

Was entspricht Ihren Erwartungen und was haben Sie sich an der Schule anders vorgestellt?

Für jemand, der nicht sein ganzes Leben im öffentlichen Dienst verbracht hat, sind die bürokratischen Regelungen und die wirtschaftlichen und organisatorischen Bedingungen, unter denen Lehrer*innen und Schüler*innen funktionieren sollen, manchmal sehr schwer nachzuvollziehen - in einem Wirtschaftsunternehmen würden manche Dinge nie toleriert, die hier als „nicht zu ändern“ gelten. Das im Vergleich zu meiner eigenen Schul- und Studienzeit teilweise frappierend gesunkene Niveau von Allgemeinwissen („kann ich doch googeln“) und die an manchen Schulen „normal“ gewordenen, nicht unbedingt von Respekt geprägten „Umgangsformen“ hätte ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Aber der Freiraum für die Gestaltung des eigenen Unterrichts und vor allem das Erlebnis, jungen Menschen bei ihrem Weg in ein selbstbestimmtes, produktives und lohnenswertes Leben etwas Hilfestellung geben und Bildungserfolge sehen zu können, entspricht meinen Erwartungen und ist Kern der Befriedigung und Fasziniation, die dieser Beruf liefern kann.

Bleiben Sie an unserer Schule?

Leider nicht. Wie die meisten „Quereinsteiger“ bin ich zwar für Gymnasien und Integrierte Sekundarschulen (ISS) ausgebildet, aber zumindest zunächst  (nach Abschluss der Ausbildung) ausschliesslich zum Unterricht in einer ISS eingesetzt. Einen späteren Wechsel an ein Gymnasium kann ich mir aber sehr gut vorstellen. 


Das Interview wurde per E-Mail geführt.


Wir wünschen Herrn Wendel weiterhin viel Erfolg!


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